Einschlusslöcher und Dosenbier
Ende der 70er schwappt die Punkwelle nach Deutschland und Bernd läuft als 15jähriger Punk durch seine Heimatstadt Bad Salzuflen mit selbsteingebrannten „Einschusslöchern“ im Hemd. Auch wenn man die Punkwurzeln nur selten heraushört, entwickelt sich hier auf jeden Fall Bernd Einstellung zur Musik:
„Ich mache nur Musik, weil niemand für mich sprechen kann. Das kann nur ich selbst tun! […] Punk heißt nämlich gar nicht Dosenbier trinken und in die Fußgängerzone kotzen.“ (PlayGirl 2⁄97)
Vatikan
Seine erste Band 1979 war dann natürlich auch eine Punkband mit dem äußerst rebellischen Namen „Vatikan“ – Besetzung: Bernd Begemann, Frank Jakobs (später „Out of Order“ & „Time Twisters“) und Martin Stammeier (Drummer diverser lippischer Heavybands)
Auf dem Foto rechts sieht man Vatikan Live auf dem Salzsiederfest in Bad Salzuflen im Mai 1980 an der Ecke Kochlöffel /Cafe Begemann spielten Bernd Begemann, Frank Jacobs, Martin Stammeier.
„Im Spätherbst 1981 sitzt ein neunzehnjähriger Junge in seinem Jungszimmer, plinkert auf der Gitarre herum und starrt böse aus dem Fenster auf Bad Salzuflen – auf Bahnhof, gotisches Rathaus, Autobahnanschlußstele mit Kurbetrieb seit 1818. Im letzten Frühjahr, kurzvordem Abitur, hatte ihn so eine Ruhelosigkeitüberfallen, die er sich zunächst nicht recht erklären konnte. Nichtsda, von wegen überschäumender Unruhe der Jugend! Eher ein sehr stiller neurotischer Zug, der einen ankommt am Zusammenfluß von Salze, Bega
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und Werre, am Nordwestrand des Lippischen Berglandes, wo die nächst größere Stadt Herford heißt, die zwar Disco hat, auch Jugendzentrum (kardinales Element für Provinzialisierung), ansonsten aber so aufregend wie ein Schuhkarton ist und einem gelangweilten Oberschüler intellektuelle Stimulanz auf genau diesem Niveau zu bieten vermag.“
Bad Salzuflen (Fast) Weltweit
1985 gegründeten ein paar Menschen in Bad Salzuflen, Ostwestfalen, das Pop-Label „Fast Weltweit“. Mit dabei war Frank Spilker, der dann mit ”Die Sterne” bekannt wurde, aber auch Michael Girke, Achim Knorr, Andreas Henning und Frank Werner.
Fast Weltweit wurde ein Kristallisationspunkt einer kleinen Musikszene in der ostwestfälischen Provinz und brachte ein paar Singles und Kassettensampler raus.
„Zwischen mehreren Runden Kicker beschließen Die Time Twisters mit Gleichgesinnten die Gründung eines Plattenlabels für Gitarrenpopbands mit deutschen Texten, weil es sonst niemand machen will (Fast Weltweit)! Damals, in der Nach-NDW– Zeit, inmitten eines 60ies Revivals, eine Art revolutionärer Akt. Mittäter im engeren Führungszirkel waren u.a. Frank Werner, Frank Spilker, Michael Girke, Bernd Begemann, Bernadette Hengst und Jochen Distelmeier. Time Twisters Homepage – The Story so far
Ganz in der Nähe, in Bielefeld wohnte damals auch Jochen Distelmeyers, der später mit Blumfeld bekannt werden sollte. Der kam etwa 1987 zu Fast Weltweit. Er tat sich zusammen mit Thomas Wenzel, der später bei „Die goldenen Zitronen“ und „Die Sterne“ spielte und brachte als „Bienenjäger“ ein paar Songs heraus.
Die erste Single von „Die Sterne“ erschien bei Fast Weltweit. und Bernadette Hengst mit Ihrer Band „Die Braut haut ins Auge“ gehört ebenfalls zum engeren Dunstkreis von „Fast Weltweit“:
„Angefangen hatte alles mit Bernd Begemann, Michael Girke und Frank Werner. Diese drei sind fünf Jahre älter als alle anderen, also auch als Frank Spilker und Jochen Distelmeyer. Sie kamen eher aus der Punkrock– und New-Wave-Szene, die Neue Deutsche Welle war vorbei. Sie realisierten: Dieses Zeitfenster hatten sie verpasst. An Marius Müller-Westernhagen oder Udo Lindenberg wollten sie sich aber auch nicht orientieren. Sie wollten in einer eigenen Sprache Lieder schreiben. Der Stil, der in Bad Salzuflen entstand, und der somit prägend werden sollte für Bands wie Die Antwort, Blumfeld, Der Fremde, Die Sterne und letztlich auch mich, definierte sich durch Ausschlusskriterien: nicht NDW, nicht Deutschpunk, nicht Deutschrock, nicht Funpunk. Anders gesagt: Was bleibt übrig, wenn man gerne Elvis Costello, The Jam oder The Smiths hört und die eigene Lebenswirklichkeit in deutschen Kleinstädten stattfindet?
Zeitgleich gab es Die Goldenen Zitronen in Hamburg, die Einstürzenden Neubauten in Berlin oder die Kolossale Jugend aus Pinneberg, die sich ebenfalls an der Möglichkeit einer Post-NDW-Sprache abarbeiteten. Ende der Achtziger zogen dann alle nach Hamburg, und die Karten wurden neu gemischt. In Hamburg entstand mit der Gründung etlicher Bands das, was dann später von außen als ‘Hamburger Schule’ bezeichnet werden sollte.“ — spex.de
Dabei ging es vor allem um eines: „Radikal-peinliche Liebes– und Heimatlyrik. Verschenktes Leben in der Großstadt und alle Facetten der Zweisamkeit werden penibel durchgereimt beleuchtet. Wenn man nicht die Ehrlichkeit bei jedem Ton spüren würde, wäre es Schlager.“ (Holger Schmitz). Und das alles musikalisch angelehnt an den englischen „Tea Time Pop“ der 80er Jahre ! –yeti-net.de
Frank Werner: „Ich will ja nicht nörgeln, aber Fast Weltweit wurde nicht von Bernd gegründet… aber ohne Bernd hätte es Fast Weltweit bestimmt nicht gegeben… Zum Zeitpunkt der Weltweitgründung hatte er bereits einen Deal mit der Antwort; bzw. die Dinge waren in Vorbereitung… er hat uns damals ein bißchen vorgelebt was mit viel Energie alles möglich sein könnte… ohne gleich den wohlwollenden Mentor raushängen zu lassen… „
(„Frank Werner in ‘Handbuch Jugend und Musik’“; Hsg: Dieter Baacke, bei Leske + Budrich, Opladen 1998)
Michael Girke: bin derjenige, der diesen Namen [„Fast Weltweit“] erfunden hat und mit zwei, drei anderen Leuten, soweit ich mich erinnern kann, ich hoffe, ich sage die Wahrheit, bin ich es gewesen, der irgendwann die Idee gehabt hat, sich mit diesen Leuten in einer Kneipe zusammen zu finden, um erstmal zu entdecken, was man gemeinsam hat, um sich vielleicht zu unterstützen und nicht allein dazustehen vielleicht (gehobene und verstellte Stimme) gegen eine große, böse Welt. Sondern, daß man gewisse Mängel, die jeder hat, in einem Verbund eben auffangen, ausgleichen und vielleicht sogar in Stärke umwandeln kann, also erst einmal einen Interessenverband zu haben.“ (zit.: Werner, F.,1988, Interview Michael, S. 51)
(„Frank Werner in ‘Handbuch Jugend und Musik’“; Hsg: Dieter Baacke, bei Leske + Budrich, Opladen 1998)
Interview mit Jochen Distelmeyer
[…]
Headspin: Eigentlich nur ziemlich wenig, ein paar einzelne Songs, aber vielleicht kannst Du mal erzählen, wie das damals alles so war, mit deiner alten Band Bienenjäger, Bad Salzuflen und dem ominösen fast weltweit-Label…
Jochen: Ich glaube gegründet haben das Michael Girke und Bernd Begemann zusammen, wobei Bernd sich dann eigentlich auch gleich wieder aus diesem Zusammenhang verabschiedet hat, weil er in Hamburg mit seine Band „Die Antwort“ bei einer Major Company Musik machen wollte. Sonst waren von Anfang an dabei: Frank Spilker von den Sternen, Achim Knorr als Der Fremde, die Time Twisters, ich bin eigentlich erst zwei Jahre später durch einen Artikel in der Spex auf die aufmerksam geworden. Die kamen ja alle aus Bad Salzuflen /Herford und ich komme aus Bielefeld, von daher hatte ich nicht so die direkte Verbindung zu den Leuten und als ich das da gelesen hatte, habe ich die kontaktet weil das schon ziemlich nach dem klang, was mich so interessiert hat zu der Zeit und wo sich in Bielefeld relativ wenig finden ließ. Da lief halt Bluesrock oder Punkrock oder Jazzrock…
Headspin: Und was war es, was dich an fast weltweit angesprochen hat?
Jochen: Popmusik zu spielen nach Punkrock und nach der Neuen Deutschen Welle. Quasi Leute, die schon über Punkrock angefangen haben, Musik zu machen, aber dann nicht wie Simple Minds oder die Ecke weitergemacht haben, sondern wie Style Council, Aztec Camera, Orange Juice, sowas. Dafür findet sich keine Lobby in Bielefeld und so habe ich das dann kennengelernt. Nachdem ich Andreas von den Time Twisters kennengelernt habe, war ich dann auf ‘ner Party und bin quasi in diese Familie aufgenommen worden. Die fast weltweit-Leute hatten die ganze Zeit schon dieses Studio von Frank Werner wo die ganzen Sachen aufgenommen wurden und mit dem fand dann so eine Überlegung statt, das ganze so Motown-mäßig aufzuziehen, d.h. ein eigenes Studio, die Musiker tauschen sich ständig untereinander aus, also was weiß ich, Frank hat öfter Bass gespielt bei Sachen von Bernadette oder später auch bei Der Fremde, ich habe bei Michael Girke was mitgespielt,. Thomas Wenzel, mit dem ich damals zusammengespielt habe und der jetzt bei den Sternen ist, der hat auch bei Michael mitgemacht und so hat sich das ständig ausgetauscht. […] Quelle: Skyeyeliner – die Blumfeld-Seite