Biografie

Die Frühen Jahre

Bernd Bege­mann wurde ver­mut­lich als Sohn eines tür­ki­schen Vaters und einer deut­schen Mut­ter gebo­ren, so genau weiß er es selbst nicht­mal, denn er wurde 1963 im zar­ten Alter von 6 Mona­ten von Mar­got und Bern­hard Bege­mann adoptiert.

„Meine Mut­ter war defi­ni­tiv Deut­sche und mein Vater war irgend­was ori­en­ta­li­sches… viel­leicht Türke oder so. Jeden­falls pas­siert es mir öfter, daß mich, spe­zi­ell Tür­ken, auf der Straße in ihrer Mut­ter­spra­che ansprechen.“

„[…] ich habe ver­sucht, mei­nen Vater aus­fin­dig zu machen, aber glaube nicht, daß er bei AOL ist. Ich glaube nicht ein­mal, dass er sich bei der Zeu­gung den Hut abge­setzt hat!“

Im Sep­tem­ber 1994 schrieb Bernd Bege­mann für die TEMPO über die Schwie­rig­keit, als erwach­se­ner Mensch seine Eltern/​Großeltern zu besu­chen. Und über die Chance, sich dabei sel­ber zu finden:

Ich war schon in 2000 Küchen, aber keine davon roch, wie diese Küche in der Ahorn­straße riecht. Mut­ters Küche. Ich betrete sie zum ers­ten Mal seit län­ge­rer Zeit, habe mich dem Mister-​Minit-​Schüssel auf­ge­macht und warte, inner­lich etwas geduckt. Mut­ter wird vor­ne­weg sein, halb über­rascht und halb besitz­er­grei­fend mei­nen Namen rufen, so als wäre ich ein ver­lo­ren­der Gegen­stand, den man uner­war­tet an einem unmög­li­chen Ort wie­der­fin­det. Sie wird mich nicht zum Ant­wor­ten kom­men las­sen und sofort die Schmutz­wä­sche in der Tasche fin­den. Danach Vater, etwas ver­hal­te­ner. Er wird nicht wis­sen, was er mit mir anfan­gen soll. Es gibt tau­send Sachen, die eine Mut­ter ihren Sohn fra­gen kann. Tau­send Sachen, die sie für ihn tun oder ihn tun las­sen kann. Aber wozu ist der Sohn für den Vater gut? In ame­ri­ka­ni­schen Fil­men spie­len Väter immer Base­ball mit ihren Söhnen.

Das Kalb würde über­le­ben. Wir fuh­ren zurück durch die Nacht, an den dunk­len lip­pi­schen Hügeln vor­bei. das Schwei­gen zwi­schen Papi und mir war irgend­wie hei­lig, aber ich mußte jetzt etwas wis­sen. „Sag mal“, begann ich, „hast du dem Bau­ern da eben nich ein biß­chen zu wenig Geld abge­knöpft?“

„Wie meinst du das?“ Vater am Steuer, groß­zü­gig die Kur­ven ausfahrend.

„Na, es ist zwei Uhr früh. Er ruft dich an. Weckt Dich auf. Du fährst eine halbe Stunde hin, stehst eine Stunde lang in die­sem kal­ten Viehstall. Weichst den Trit­ten der Kuh aus, gibst Sprit­zen, machst einen Ein­lauf…“ Ach so, mein Vater ist ein Tier­arzt in Ostwestpfalen-​Lippe. Hatte ich das schon erwähnt? „…dein Kit­tel ist voll Blut besu­delt. Und jetzt fah­ren wir eine halbe Stunde zurück. Wieso hast du den nur 50 Mark bezah­len las­sen? Inklu­sive Medi­ka­mente?“

„Ach Bernd…“ Damals dachte ich, seine Ant­wort wäre spöt­tisch her­ab­las­send, gegen mich, den naiv fra­gen­den Jun­gen, heute glaube ich zu wis­sen, daß sie weh­mü­tig war. „…Bernd, die­sem Bau­ern geht es nicht allzu gut. Ver­stehst du?“
Ja, jetzt schon. Aber damals nicht.

„Mami sagt, wenn du mehr Geld neh­men wür­dest, müß­test du weni­ger arbei­ten. Dann könn­ten wir öfter in Urlaub fah­ren.“

„Ach ja … ach Gott­chen…“ Ein wei­ses Kichern. Ich fühle mich nicht ernst genom­men. Schließ­lich hatte Mami doch recht. Die ande­ren Tier­ärzte in der Gegend nah­men dop­pelt soviel Geld und schlos­sen drei­mal im Jahr ihre Pra­xis für aus­gie­bige Fern­rei­sen. Wäh­rend wir alle paar Jahre mal für eine Woche in den Harz fuhren.

„Sieh mal, Bernd, ich habe mich ent­schlos­sen Tier­arzt zu wer­den. Ich wollte das machen. Und wenn man so etwas machen will, dann muß man es auch rich­tig machen. Klar?“

Inzwi­schen ja, glaube ich: Ein Tier­arzt zockt keine Tier­be­sit­zer ab, er macht Tiere gesund. Wann auch immer, wo auch immer, für wen auch immer.

Ich muß mich kor­ri­gie­ren: Mut­ters Küche riecht nicht. Sie ist kom­plett sau­ber. Trotz­dem erkennt meine Nase die­sen Ort wie­der. Es sind Mau­ern aus Dor, Pril und Ata. Wie die pro­vi­so­ri­sche Mauer in der Früh­zeit der Mensch­heit, die die ers­ten Sied­ler vor wil­den Tie­ren schütz­ten, so sol­len uns diese moder­nen Mau­ern aus Dor, Pril und Ata vor dem ekel schüt­zen. Mau­ern, die nie lange hal­ten lön­nen, ein Flie­sen­bo­den, der immer wie­der geputzt wer­den muß. Meine Nase nimmt den aus­ge­sperr­ten Ekel war.

„Bernd! Was machst du mit dem schö­nen Sporthemd?“

„Also Mutti, werd jetzt nicht sauer oder so was, aber ich brenne da Ein­schußlöcher rein.“

„Was!? Oh Gott! Hör sofort auf damit! Das Hemd kann man doch noch gut tragen!“

„Das werde ich ab jetzt auch immer tra­gen. Ein­schuß­lö­cher sind toll.“

Die Wahr­heit hin­der die­sem sur­rea­len Dia­log war, daß ich mit 15 Jah­ren nun ein ech­ter Punk sein wollte und Angst davor hatte, mir eine Sicher­heits­na­del durch die Backe zu ste­chen. Ein­schuß­lö­cher, so über­schlug ich, waren auch ziem­lich hart, aber taten nicht weh. Oder, um es mit Mick Jag­ger zu sagen“Rock ´n´ Roll ist eine Musik wie jede andere auch, bloß daß sie inter­fa­mi­liäre Span­nun­gen erzeugt.“ Aber nicht dies­mal.

„Na gut, Bernd, du mußt ja wis­sen, was du tust, aber etwas ver­rückt ist das schon.“ Ich fühlte mich betro­gen um meine per­sön­li­che Bad Sal­zu­fler Punk-​Rock-​Revolution, und mit Ein­schuß­lö­chern auf der Brust durch die Gegend zu lau­fen, war nicht so ein Kick wie erwartet.

Jetzt bin ich abge­füt­tert und sitze fett und brä­sig im Gar­ten. Mami und Papi sind irgendwo im Haus ver­schwun­den und hal­ten ihr Mit­tags­schläf­chen. In eini­gen Städ­ten wird man mit Dro­gen bewor­fen, sobald man sie betritt, in ande­ren mit Alko­hol, aber zu Hause wird man mit Nah­rungs­mit­teln bewor­fen. Man duckt sich zwei– drei­mal, dann bleibt man ein­fach auf­recht ste­hen und läßt sich tref­fen. (Hallo Mutti, falls du das hier liest: Natür­lich gilt das bloß für Dein köst­li­ches Essen, davon lasse ich micht gerne tref­fen. Dro­gen und Alko­hol wei­che ich immer aus.) Also hier rum­sit­zen, die „Welt am Sonn­tag“ (dis­tan­ziert), die „Bad Sal­zu­fler Zei­tung“ (begeis­tert) lesen und sich unglaub­lich wohl füh­len. Wenn ich mich jetzt über­haupt noch mal auf­raf­fen würde, dann bloß, um nach­zu­schauen, ob die Süßig­kei­ten immer noch an der­sel­ben Stelle ver­steckt sind. Mutti wird mir beim Abend­es­sen vor­wer­fen, daß ich zuge­nom­men habe. Dann wird sie mir einen Nach­schlag auf­drän­gen. Das bringt sie jedes­mal fer­tig. O ja, das bringt sie fertig.

„Aber du mußt doch Abitur machen!“ Ich würde aber kein Abitur machen wie all diese Pfei­fen in mei­nem neuen Jahr­gang, die zu den vor­ge­schrie­be­nen Zei­ten über die Stränge schlu­gen, um schließ­lich doch bloß die Familien-​Wurstfabrik zu über­neh­men. Die taten immer so von oben herab, als wüß­ten sie, wor­auf es ankommt, aber die hat­ten kei­nen Plan. Kei­nen Plan, kei­nen Schim­mer. Ich würde nach Ham­burg zie­hen und eine Band gründen.

„Du willst doch spä­ter mal studieren.“

„Ich will nicht stu­die­ren, Papi, ich will etwas lernen.“

Unsere Band würde bes­sere Songs schrei­ben als The Jam und auf­re­gen­der klin­gen als The Buzzcocks. Mutti ver­drückte ein Tränchen.

„O je, O je. Hab ich dich, haben wir dich falsch erzogen?“

Für einen Augen­blick war ich über­rascht. Konnte Erzie­hung etwas ändern? Hätte ich ein ande­rer wer­den kön­nen? Selt­sa­mer Gedanke. daß ich kein Abitur habe, hat mir spä­ter überi­gend viele Türen geöff­net im Rockbusiness.

Wir gehen im Wald spa­zie­ren. Vater, ich und der Hund. Wenn er drau­ßen an der Luft ist, freut sich Vater immer auf diese stille Art. Seine Freude erreicht mich, ein groß­zü­gi­ges, aber beschei­den vor­ge­tra­ge­nes Ange­bot. Wir schwe­ben über das Laub, un ich betrachte ihn, wie zum ers­ten Mal. Ich bin fast nichts, was er nicht auch ist, sehe ich da. Jeden­falls machen all die Leute, die panisch dar­auf bedacht sind, bloß nicht so zu wer­den wie ihre Eltern, in der Regel kom­plette Idio­ten aus sich. Und wer­den viel schlim­mer. Wenn du wirk­lich anders wer­den willst als deine Eltern, gib dir die größte Mühe zu ver­ste­hen, warum sie das tun, was sie tun. Aber gib die keine Mühe, anders zu wer­den. das ist der ein­zige Weg. Glaube ich. Der nette TEMPO-​Fotograf ver­mißt den Fami­li­en­hund an die­sem net­ten hei­ßen Tag. Der ist bei einer Freun­din zu Pflege.

„Wir haben ihn bloß als Wand­bild da.“

„Her damit!“ Ein Spit­zen­foto entsteht.

„Das wird tief“, sage ich. „Bild im Bild. Wie van Delft.“

Jetzt bist du abends in dei­ner etwas zu gro­ßen Groß­stadt­woh­nung, die du dir so sehr gewünscht hast, für die du so sehr gekämpft hast, für die du immer noch täg­lich kämp­fen mußt, um die Miete zu bezah­len. Du beschäf­tigst Dich gerade mit irgend­ei­ner halb­wich­ti­gen Sache. da klin­gelt das Tele­fon. Mut­ter. Nein, Mut­ter, danke, Mut­ter, du auch, tschüß, tschüß, tschüß. Vor­bei. O Gott, bloß nicht. Warum warst du so genervt über den Anruf? Warum woll­test Du ihr nicht zuhö­ren? Warum fal­len Dir keine Fra­gen ein, die du ihr stel­len könn­test, deren Ant­wor­ten dich inter­es­sie­ren? Weil du nicht wirk­lich etwas über dich erfah­ren willst, glaube ich, egal, was du auch sonst immer beteu­ern magst. Ich meine, du führst eitle Gesprä­che über dich selbst mit dei­nen Weg­ge­fähr­ten, du kaufst dir Bücher, die angeb­lich von Dir han­deln sol­len, viel­leicht machst du sogar einen Psycho-​Wochenendworkshop mit. Du ver­an­stal­test die­sen gan­zen Hokus­po­kus, um dich am Ende wie­der in dei­nem lau­war­men Vor­stel­lun­gen von die selbst suh­len zu dür­fen. Wenn dir klar wird, daß dich das nicht wei­ter­bringt, wenn du genug Mumm hast für einen ech­ten Schritt in die Rich­tung dei­nes gelieb­ten, beklag­ten Selbst, dann wirst du zur Abwechs­lung beim nächs­ten Mal dei­nen Eltern zuhö­ren. Du mußt ihnen nicht fol­gen, aber du mußt ihnen wirk­lich zuhö­ren. Mut­ter ertappt mich spät nachts beim Kabel­fern­se­hen. Hor­ror­film auf Pro7. Sie setzt sich erst­mal dazu.

„Für mich ist das nichts.“ An der Tür dreht sie sich um.
„Ich hab dir mein neues Gedicht auf den Nacht­tisch gelegt“, sagt sie. „Sag mir doch mor­gen mal, wie du es fin­dest.“ Ich bin fast nichts, was sie nicht auch ist, denke ich.