Solange die Rasenmäher singen
Seit seinem Umzug aus Bad Salzuflen wohnte Bernd in Hamburg, Rothenburgsort in seiner kleinen, billigen Laubengangwohnung, die später noch Kulisse für „Bernd im Bademantel“ sein sollte. Nachdem sich die Antwort aus Gründen persönlicher Differenzen zum zweiten Mal auflöste, hat er hier 1993 in der Küche für 5000.-DM mit zwei Mikrofonen, Gitarre & Beatbox sein erstes Soloalbum „Rezession, Baby“ aufgenommen und sein Label „Rothenburgsort Records“ gegründet.
Bernd Begemann — „Der elektrische Liedermacher“ aus Hamburg gründete 1993 sein eigenes Label „rothenburgsort records“, „ein demokratisches Forum um die eigenen Seifenopern zu plazieren“ (zit. b.b. 1995). Zwei geplatzte Verträge mit der Industrie (RCA und WEA) festigten seine Entscheidung, allein zu produzieren. [..] Die CD eroberte diverse regionale Charts und fand besonderes Echo bei den Medien (siehe Spex-Titel, August 1993). Seit 1993 tourt Bernd in einem antiken Polo, mit Verstärker und Mobiltelephon bewaffnet, durch das Bundesgebiet und spielt sehr erfolgreich in Clubs, Theatern und auf Stadtfesten. („Frank Werner — Handbuch Jugend und Musik“; Hsg: Dieter Baacke, bei Leske + Budrich, Opladen 1998)
Das Album verkaufte sich in kürzester Zeit 3000 Mal — ein Erfolg, den „Die Antwort“ nie hatte. Bernds mikroskopische Betrachtung Deutschlands findet viele Fürsprecher, wird aber auch kritisch diskutiert.
In Hamburg hatte Bernd spätestens seit „Rezession, Baby“ (93) Probleme, verstanden zu werden. Zwei Songs „Der Junge, der nie mein Onkel wurde“ und „Hitler, menschlich gesehen“ führten dazu, das einige Leute der Szene ihn nicht mehr dabei haben wollten. Dies ist der Hauptgrund für diesen entweder-gehaßt– oder-geliebt-werden-Zustand, mit dem Bernd zu kämpfen hat.
„Das ist doch ein bißchen konstruiert, ich singe ‚Ich will dieses Land verstehen´ und die sagen, ich wäre ein Krypto-Faschist. Tobias Levin hat gesagt, ich wäre ein Westentaschennazi, ich meine, gehe ich denn rum und veranstalte Mini-Parteitage, das tue ich nicht. Das ist jetzt auch immernoch so, und ich komme auch nicht dabgegen an, muß ich verblüfft feststellen. Auch aufgrund der Zeilen in ‚Der Junge, der nie mein Onkel wurde´, der zufälliger Weise der Bruder meiner Mutter ist, der mit 18 gestorben ist, was ich einigermaßen beunruhigend finde, dieser Beunruhigung wollte ich Herr werden, darum geht´s in diesem Lied. Das heißt doch nicht, daß ich seine Taten für gut heiße. Ich versuch, das verrückte Gefühl loszuwerden, daß ich um jemanden trauere, der einer bösen Sache verpflichtet war, und der gleichzeitig ein Verwandter ist, den ich nie kennengelernt habe. Das ist ein sehr gewagtes Lied, aber wenn ich drüber nachdenke, meine interessanteste Arbeit. Das bleibt aber irgendwie hängen, es ist schade, weil man wird vorsichtig, und wenn an vorsichtig wird, macht man nichts Gutes mehr. Ich meine aber, daß es wichtig ist für die Leute von den Wohlfahrtsausschüssen, meine Position wenigstens zu erwägen, aber das wird nicht passieren, es gilt eben sowas wie Feindschaft.“ Freizeit Magazin Mai/96
Seine Nachbarn beschreiben ihn in dieser Zeit als „schmächtigen“, „nervösen“ aber netten Mann, der durch seinen beschwingten Gang auffällt und „dir ´n Ohr ablabert“.
Solange die Rasenmäher singen
Doch der junge Mann ist selten Zuhause — Nach einer ausgedehnten Solotournee durch Deutschland und Österreich war es 1994 an der Zeit für ein weiteres Soloalbum. „Solange die Rasenmäher singen“ ist von Bernd als Konzeptalbum angelegt und beschreibt die Zeit des Heranwachsens in den 70ern, 80ern und 90ern. Diesmal gibt es sogar eine Single mit dazugehörigem Video, das laut unbestätigter Quellen sogar einmal bei Viva-TV gesichten worden ist.
„Nachdem ich die Lieder geschrieben hatte, stellte sich heraus, daß die Songs, wenn man sie in einer bestimmten Reihenfolge anordnet, eine Geschichte erzählen, ein größeres Bild ergeben.“ Nordkurier 29.10.1994
Im Sommer 1995 hatte Bernd eine „Sprechrolle mit Musik“ am Nationaltheater Mannheim in Gerhard Hauptmanns „Iphigenie auf Delphi“. Auf den Geschmack des Schauspielens gekommen, beteiligte er sich bei dem Kurzfilm „Mein süßes häßliches Mädchen“, bei dem es sich um die Abschlußarbeit des Kameramannes aber auch um ein Regiestück Matthias Glasners handelt. Für dessen nächsten Film „Die Mediocren“ (1995) Bernd seinen Song „Gefangen in einem Samstagnachmittag“ betrug.
Jetzt bist Du in Talkshows
Bernds drittes Soloalabum erscheint 1996 unter dem Titel „Jetzt bist Du in Talkshows“. Aus dem Rahmen fällt der Song „Du wirst Dich schämen für Deinen Ziegenbart“, der in Kooperation mit Der Tobi & das Bo entsteht. Bernd zeigt den Jungspunden wie HipHop geht. So ähnlich jedenfalls. Im Gegenzug tritt Bernd in deren Video zu „Is mir egal“ als Kommissar auf.
Zu dieser Zeit war Bernd dann sogar einmal bei der Talksendung von Roger Willemsen zu Gast.
Der „Rolling Stone“ urteilte damals:
„Eben mißriet ihm noch grandios der Auftritt beim Dr. Willemsen, wo er sein neues Album „Jetzt bist Du in Talkshows“ eindrucksvoll an den Start bringen wollte, nun ist er in seiner Junggesellenwohnung selbst der Gastgeber.“ Rolling Stone Nr. 8 1996
Bernd im Bademantel
Gemeint war damit Bernd als Gastgeber seiner eingenen Fernsehsendung. Der NDR bzw. Regisseur Horst Königstein hat im Sommer 1996 mit ihm die „Low-Budget Tagsüber-Late-Night-Show“ Bernd im Bademantel gemacht. Sie wurde schon nach 3 Folgen abgesetzt, weil sie dem NDR zu „schäbig“ wirkte.
Bei N3 kam im Sommer 1996 eine Art „Show“ mit Bernd Begemann, „Bernd im Bademantel“, von der es 3 Sendungen gab:
- 28.Juli 1996 — Gast: Tocotronic
- 4.August 1996 — Gast: FBI (Super-8-Film Vereinigung aus Berlin)
- 11.August 1996 — Gast: Ja König Ja
(Die Sendungen liefen jeweils von 12:30 Uhr bis 13:00 Uhr)
Danach wurde sie vom NDR kurzfristig abgesetzt und nur selten wiederholt.
Nach dem Titellied (Schmutziger Schwan auf Baggersee) kamen die jeweiligen Gäste zu Bernd in seine Bude in Hamburg/Rothenburgsort, talkten und spielten ein paar Songs unplugged. Bernd revanchierte sich dann mit Backofenpommes oder dem einen oder anderen Song aus eigenem Reportoire. Das ganze war wohl recht planlos, so kam wohl mal Bernds spanische Nachbarin (Frau Alvarez — Die es so zu lokalem Rothenburgsorter Ruhm gebracht hat) vorbei und suchte sich den süßesten „Toco“ aus. Deswegen gibt es die Sendung wohl auch nicht mehr…
„Das NDR-Gremium sagte: ´Hätte er die Wohnung nicht aufräumen können?´ Wir haben eine Woche lang die Wohnung aufgeräumt. So wohnen Junggesellen nun einmal. Sie fanden es unprofessionell, daß die kabel zu sehen waren und so: ´Da sah man ja das Bein vom Kameramann!´ Ja sicher, es war tierisch eng. Einige haben das Prinzip verstanden, aber viele eben nicht. Das war die erste Unterhaltungsshow, die nur aus einer Privatwohnung kommt. Das hätte noch gut werden können.“ (Subway 4⁄97)
„Scheiße. Ich bin im Kackfernsehen, ich wollte nie ins Scheißfernsehen, ich wollte nie ne blöde Sendung, aber ich krieg die. Warum auch nicht, ich bin ja nicht so langweilig, wie die anderen Spacken.“ Ganz so ernst sollte man diese Aussage aber wohl nicht nehmen, denn immerhin scheint ihm die Sendung Spaß gemacht zu haben.„
„Dem Superstart in diesem Bereich steht allerdings der Nachteil entgegen, daß ich fähig bin, komplette Halbsätze zu formulieren.„
Etwas frustriert erklärte NDR Redakteur Horst Königstein, daß man nur 30.000 Zuschauer mit der Sendung erreicht habe, was einem Marktanteil von 1,8% bis 2,5% entspräche. Die Sendung sein ihm zwar eine Herzensangelegenheit, aber doch als Testballon ein wenig mickrig ausgefallen. Man wolle über den Sendeplatz nachdenken und ander Form arbeiten. (Wochenblatt 10. Okt. 1996)
Aufgabe verschlafen
Alles könnte so schön sein, würde „Bernd im Bademantel“ sich im N3 Programm etablieren. Viele Künstler aus Norddeutschland bekämen ihre Chance, Rothenburgsort würde mit einem kleinen Punkt in die Karte der Kulturlandschaft eingetragen, ein Hauch von Wirklichkeit wehte in das sonntägliche Fernsehprogramm und „Bernd“ könnte sich richtig ausgestorben und ein bißchen Geld verdienen. Doch „Bernd im Bademantel“ droht an der Verkrustung im deutschen Fernsehprogramm zu scheitern: Das Denken in Einschaltquoten legt die Phantasie der „Programmverantwortlichen“ lahm und fördert deren Faulheit. Neue Ideen sind ihnen wohl zu anstrengend. Die Kulturprogramme der Öffentlich-Rechtlichen haben ihren Anspruch auf Originalität vor den vermeintlich harten Erfolgszahlen verschreckt aufgegeben. Die Zuschauer werden auf Dauer mit Einheitsbrei aus Volksmusik-Marathons und dümmlichen Studio-Quizshows abgespeist. Früher oder später wird ein Privatsender darauf kommen, daß Sendungen im Stil von „Bernd im Bademantel“ das Weltbild und Lebensgefühl eines jungen und kaufkräftigen Publikums bedienen und vermarktet das ganze als „Kult“. Musiker und Musik werden danach ausgesucht, wie gut sie den Trend verkörpern; wenige machen großes Geld. andere vielleicht bessere, suchen sich Bürojobs. Der NDR wird teuer einen Abklatsch einkaufen und wieder einmal seine Aufabe, Kultur diesseits von Kommerz zu fördern, verschlafen haben. Ingo Böttcher, Wochenblatt 10.Okt.1996
Wieder ein Salzuflener auf der Mattscheibe
Bad Salzuflen scheint ein Ort zu sein, an dem TV-Moderatoren gut gedeihen. Nach Jürgen von der Lippe, Andreas Lukoschik ist mit Bernd Begemann ein weiterer Sohn der Kurstadt auf dem Bildschirm vertreten. […] Klaus Gosmann, Lippische Neueste Nachrichten
Neue Lippische Nachrichten
Nebenschauplätze
Bernd im Bademantel war vorbei – Das folgende Angebot für einen Moderatorenjob („Telepromterableser“) bei VH-1 hat er abgelehnt, dafür aber drei Schlagernächte mit Popmusik der letzten 40 Jahre, Schlager, NDW usw. für den NDR moderiert und Sylvester 1996 fast 10% Zuschauer bekam.
Im Feburar 1997 kam er als „erster bekleideter Mann“ (im Bademantel) ins PlayGirl, im Dezember des gleichen Jahres lief der Horst Königstein-Musical/Film „Liane“ in der ARD, mit Bernd in einer „Hauptnebenrolle“. Die Hauptrollen waren mit Luci van Org (Lucilectric) und Udo Lindenberg besetzt, welcher Hans Albers(!) spielt.
Marion Maerz
Eine weitere Nebenrolle hatte Marion Maerz, mit der Bernd zusammen schon eine der NDR-Nächte moderierte und zu dieser Gelegenheit sogar ein Duett sang. „Auch musikalisch nähert sie (Marion Maerz) sich neuerdings wieder ihrem eigentlichen Fahrwasser: Anfang 1997, beim Hamburger Konzert von Bernd Begemann in den „Planten & Blomen“ kommt sie auf die Bühne und entzückt die 900 Anwesenden.
„Wirklich lauter Applaus. Von einem jungen Publikum, das sie zum ersten Mal sah und bewußt hörte. Man darf nicht vergessen, daß Marion in den letzten dreißig Jahren durchgehend aktiv war, ein echter Profi.“ [http://online.prevezanos.com]
Bernd wollte damals sogar mit Marion Maerz auf Tour gehen, aber ihr Manager wußte das leider zu verhindern.
Im Kontrast zu diesem Ausflug in die Schlagerwelt, schreibt Bernd ‚Zeit an Gott zu denken‘ für das 97er Album („Bis jetzt ging alles gut“) der Hamburger Political-Correctness-Punk-Rocker von „But Alive…„
5 Jahre später trafen sich deren Sänger Marcus Wiebusch und Bernd wieder: Wiebusch hat inzwischen sein eigenes Indie-Label (Grand Hotel van Cleef) und veröffentlicht Bernd’s Album „Unsere Liebe ist ein Aufstand„
Wie um seine Vielseitigkeit noch weiter unter Beweiß zu stellen, produzierte Bernd 1998 den Soundtrack zu Matthias Glasners Film „Sexy Sadie“ (Mit Jürgen Vogel und Corinna Harfouch).
„Die Geheimwaffe des Films ist seine Musik. Live eingespielt zum laufenden Bild in einer drei Tage dauernden Non-Stop-Session dokumentiert der Soundtrack das bemerkenswerte Zusammmentreffen von Produzent Begemann, Mitgliedern der „Jeremy Days“, „Mr. Ledernacken“ Folke Jensen und zweier Shootingstars der Hamburger Jazz-Szene, Marcus Vogt (Posaune) und dem überragenden Jan Peter Klüpfel an der Solo-Trompete! Mal an klassische Thrillermusiken angelehnt, mal der melancholischste, zarteste Jazz, bleibt diese Musik immer dran an den zum Untergang verdammten Filmhelden …“ [Deutsches Entertainment Magazin]
Zu einer weiteren Zusammenarbeit mit Matthias Glasner kam es, als Bernd eine Rolle in dem Film „Fandango — members only“ bekam, an dem seit 1998 unter dem Arbeitstitel „Dee Jay’s Day“ gearbeitet wurde und der, als er dann 2000 in die Kinos kam, wohl tatsächlich nur von „Members“ gesehen wurde. Als amüsante Anekdote veröffentlichte das Tratschblatt „Gala“ Fotos von Bernd mit Corinna Harfouch, die auch bei diesem Glasner-Film wieder mitwirkte.
Bernd: „‚Fandango — Members Only‘ ein von der deutschen Presse völlig unterbewerteter deutscher Spielfilm. Mein Name ist auf den Plakaten falsch buchstabiert („Bernd Bergemann“), aber ich sehe sehr sexy aus in meinen anderthalb Minuten mit Nicolette Krebitz.“